Würzburg (POW) In der Vorstellung ist Weihnachten ein harmonisches, idyllisches Fest. In der Realität sieht das jedoch oft anders aus. Viele Aufgaben müssen erledigt werden, und dann will man auch noch Zeit mit seinen Liebsten verbringen. Stress ist dabei vor allem in Familien programmiert. Albert Knött, Leiter der Beratungsstelle für Ehe-, Familien- und Lebensfragen Würzburg, erklärt: „Das hängt mit der Erwartungshaltung der Menschen zusammen.“ Weihnachten werde als harmonisches Fest gesehen und die Sehnsucht nach Harmonie und Gemeinschaft stecke in den Menschen. Das „kulminiert sich an Weihnachten“, sagt er. Zudem führe die Kälte und Dunkelheit zu einer Suche nach Gemeinschaft. Die Absage der Weihnachtsmärkte, -konzerte und anderer Veranstaltungen sei schade, weil die Menschen das bräuchten. „Das idyllische Weihnachtsfest und einen stillen Advent gibt es nicht, dennoch ist die Sehnsucht danach vorhanden.“ So entstehe eine hohe Erwartungshaltung, auch an sich selbst. „Je höher die Erwartungen an einen Abend werden, desto größer ist die Enttäuschung.“ Das führe zu Stress und Frust. Diese Emotionen bekämen meistens die Liebsten zu spüren.
Knötts erster Tipp ist, die Erwartungen zu reduzieren. Geschenke kaufen, Putzen, Weihnachtskarten verschicken, Essensvorbereitungen, das alles gehört zu den Aufgaben, die erledigt werden müssen. Jedes Jahr sei man von Neuem überrascht, „dass Weihnachten so früh kommt“, erklärt Knött. Deswegen sollte man sich bereits vor dem Advent fragen, was realistisch ist. Welche Aufgaben kann man ohne Stress erledigen? „Drei verschiedene Arten von Plätzchen reichen aus, es müssen nicht fünf sein“, gibt er als Beispiel. Man könne sich auch fragen, welche Aufgaben vielleicht sogar schon im November erledigt werden können. Wichtig sei bei all den Aufgaben, nicht sich selbst zu vergessen. Wenn eine Priorisierung vorgenommen wird, sollte nicht „das Joggen gehen“ oder „das Treffen mit Freunden“ ausfallen.
Mit der Weihnachtszeit kehren viele wieder zurück in die Heimat. Auch die Coronapandemie wirft die Menschen zurück in die Familien, weil kulturelle Veranstaltungen und andere Unternehmungen ausfallen. Doch wenn ständig alle zu Hause sind, entstehe ein hoher Druck „wie in einem Schnellkochtopf“, erklärt Knött. Dieser entzünde sich schnell. Er schlägt deshalb einen Wechsel zwischen Zusammensein und Alleinsein vor. Man sollte sich zurückziehen dürfen, sodass Autonomie und Gemeinschaft in ausgewogenem Verhältnis zueinander stehen. Auch das könne bereits vorher geplant werden. Ein weiterer Vorschlag Knötts ist, nicht alle Weihnachtsfeiertage zu verplanen, sondern am ersten Weihnachtstag auch mal zu Hause zu bleiben und sich zum Beispiel „mit den Geschenken zu beschäftigen“ oder zu „chillen“.
„Die Erwartungen an die Liebsten können nicht so leicht runtergeschraubt werden“, erklärt Knött. Es sei ein langer Weg, die Vorstellungen an bestimmte Beziehungen zu reduzieren. „Daran muss man auch unter dem Jahr arbeiten.“ Zum Beispiel in Form von „regelmäßigen Familienkonferenzen, in denen alle Mitglieder ihre Wünsche äußern können“, erklärt Knött. „Die Aufmerksamkeit liegt auf einem selbst, trotzdem sollte man verbunden bleiben.“ So könne man über Erwartungen, Hoffnungen und Enttäuschungen sprechen. „Die Kritik von der wichtigsten Person trifft am meisten“, deshalb empfiehlt Knött, diese in Form eines „Sandwichs“ zu äußern. Negative Anmerkungen werden in zwei positive verpackt. Man könne sich das vorstellen wie Koalitionsverhandlungen und sich fragen: „Was liegt auf dem Tisch?“ Die Partei, die nachgibt, sollte einen „Ausgleich“ bekommen. Ein Mehrjahresplan sei möglich, indem man sage: Dieses Jahr machen wir es so, und nächstes Jahr, wie du es möchtest.
Dabei sei natürlich auch die richtige Kommunikation zu beachten. Diese sollte konkret sein. Außerdem sollten Wörter wie „nie“ oder „immer“ vermieden werden, konkretisiert er. Des Weiteren sollten Du-Botschaften durch Ich-Botschaften ersetzt werden. „Es verletzt mich, wenn ich keine Hilfe bei den Weihnachtsvorbereitungen bekomme“ anstatt „Du hilfst mir nie mit dem Weihnachtsessen!“ Die Erwartungshaltung stamme oft nicht von einem selbst, sondern von außen, von den Menschen aus dem Umfeld. „Sie kommen nicht umhin, auch mal die Enttäuschung von anderen Menschen auszuhalten“, sagt Knött. Die Grenzen sollten ehrlich ausgesprochen werden: „Ich mag dich, aber es geht nicht. Ich bin total unter Druck.“ Auch das könne unterm Jahr geübt werden. Mit diesem Gespräch könne auch das Gegenüber sich selbst reflektieren und Kompromisse gefunden werden.
Wichtig sei die Einsicht, dass Konflikte unvermeidbar sind. Niemand sei perfekt und Menschen wie auch die Bindungen zueinander seien unterschiedlich. Auch Heiligabend „ist nur einer aus 365 Abenden“, erinnert Knött. So helfe es auch nicht weiter, potentielle Konfliktthemen wie Politik zu vermeiden. „Nicht drüber reden ist auf Dauer nicht möglich, weil die einem ja auch wichtig sind“, sagt Knött. Sich mit Handy oder gar Alkohol zurückzuziehen sei nur eine kurzfristige Lösung.
Aber was ist zu tun, wenn es trotzdem kracht? „Wenn ich merke, dass ich verletzt bin, entsteht Ärger. Der Ärger lagert sich sozusagen über den Schmerz, damit ich den Schmerz nicht fühle.“ Aus diesem Grund gehe die betroffene Person auf Angriff über, um die übertretene Grenze zu korrigieren. Um das zu verhindern, wird „Konfliktmanagement“ angewendet. Das heißt, dass „wenn man den Ärger spürt, dieser nicht unkontrolliert ausgeführt wird“. Dabei könne es helfen, aus der Situation zu gehen, indem man zum Beispiel spazieren geht. Man könne „im Wald schreien, aber nicht zu Hause“, erklärt Knött. Zur Entkopplung wird eine „Pause“ von der Situation genommen. Wichtig sei dabei, zu sagen, dass man wiederkomme und gerne zu einer anderen Zeit ein Gespräch über die Situation führe. Wenn das klärende Gespräch geführt werde, sei, wie schon erklärt, auf die Art der Kommunikation zu achten. Nicht zu vergessen ist jedoch: „Streit ist wichtig“ und trage zu einer harmonischen Beziehung bei, sagt Knött.