Würzburg (POW) „Hilfe! Hilfe!“ Für einen Moment ist im geöffneten Fenster im Dachgeschoss des Wohnhauses ein Kopf zu sehen. Ein Feuerwehrauto steht bereits vor dem Haus, ein zweites kommt mit Blaulicht angefahren. Zwei Häuser weiter flackert es rötlich in einem Fenster, dichter Rauch quillt heraus. Noch mehr Hilferufe. Zwei Feuerwehrleute tragen eine Leiter zum Haus, andere suchen in den Fahrzeugen die benötigte Ausrüstung zusammen. Sie bewegen sich rasch und zielstrebig. Die Konzentration scheint fast greifbar. Mittendrin steht Bischof Dr. Franz Jung in einer Feuerwehrjacke mit der Aufschrift „Diözese Würzburg Bischof Franz“ auf dem Rücken. Der „Notfall“ ist in Wirklichkeit eine Übung in der Staatlichen Feuerwehrschule Würzburg im Stadtteil Zellerau. Beim Besuch des Bischofs am Donnerstag, 8. Februar, findet hier gerade eine Übungseinheit im Rahmen des Lehrgangs für Gruppenführer statt. Einen Vormittag lang erhält Bischof Jung Einblick in die Ausbildung – und sieht einige Notfallszenarien aus nächster Nähe.
Zunächst gibt Michael Bräuer, Leitender Branddirektor und Schulleiter, eine Einführung. In Bayern gebe es insgesamt rund 7500 Freiwillige Feuerwehren, dazu kämen noch sieben Berufsfeuerwehren und rund 200 Werks- und Betriebsfeuerwehren. Die Mehrheit der insgesamt 320.000 Feuerwehrangehörigen engagiere sich ehrenamtlich, erklärt Bräuer – lediglich etwa 5000 seien Hauptamtliche. Ein so ausgeprägtes ehrenamtliches Engagement gebe es „eigentlich nur in Deutschland und Österreich“, betont Bräuer. Jährlich würden die bayerischen Feuerwehren zu rund 220.000 Einsätzen gerufen. An den Standorten Geretsried (Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen), Regensburg und Würzburg bieten Staatliche Feuerwehrschulen hierfür qualifizierte Aus- und Fortbildung an.
In Würzburg befinde sich „die modernste Übungsanlage in Europa“, erfährt der Bischof. Bis aus London, der Schweiz oder Ungarn würden Gruppen anreisen, um die Anlage zu besichtigen. Im Einzugsbereich gebe es rund 117.000 Feuerwehrangehörige. Jedes Jahr würden etwa 6500 Feuerwehrmänner und ‑frauen in rund 290 Lehrgängen geschult – das entspreche 23.000 Teilnehmertagen. Sie können aus über 60 verschiedenen Lehrgängen und Seminaren wählen. Das seien zum einen Lehrgänge zu „Führung“, „Technik“ und „Umwelt“, zum anderen Speziallehrgänge, etwa als Bootsführer oder als Luftbeobachter, erzählt Bräuer. Er stellt unter anderem die Wasserübungsanlage heraus, wo Bootsunfälle, Schiffsbrände oder die Suche nach vermissten Personen simuliert werden können. Außerdem gebe die Schule Lehr- und Lernmittel für die Standortausbildung in den bayerischen Feuerwehren heraus, die aber „auch außerhalb Bayerns gerne genutzt werden“. Der Fuhrpark zählt rund 60 unterschiedliche Fahrzeuge. So können die Teilnehmer mit einem vergleichbaren Modell üben, das sie von der eigenen Feuerwehr kennen, erläutert Bräuer. Damit das alles reibungslos läuft, arbeiten in der Feuerwehrschule rund 100 Menschen: die Hälfte davon im feuerwehrtechnischen Dienst, die anderen unter anderem als technische Mitarbeiter, in der Verwaltung oder in der Hauswirtschaft.
Beim Rundgang über das rund 49.000 Quadratmeter große Gelände wird Bischof Jung von der Schulleitung – Schulleiter Bräuer, sein Stellvertreter Brandrat Stephan Brust, Brandrat Martin Singer und Brandoberrat Jürgen Schemmel – sowie Pfarrer Monsignore Werner Kirchner, Fachberater für den Landkreis Schweinfurt in der Seelsorge in Feuerwehr und Rettungsdienst, und Kreisbrandinspektor i. R. Peter Höhn (Landkreis Schweinfurt) begleitet. Erster Halt ist vor einer Garage mit einem brennenden Auto. Ob es beim Löschen der neuen E-Autos Probleme gebe, will der Bischof wissen. „Wenn man weiß, wie, kann man solche Dinge beherrschen“, sagt Bräuer. Prinzipiell nähere man sich einem brennenden Auto mit Schutzkleidung und Abstand. „Man musste schon vor den E-Autos mit der richtigen Taktik herangehen.“ Die Leichtmetalle, die in den Akkus der E-Autos verbaut sind, verbrennen mit sehr hohen Temperaturen, erklärt Bräuer. „Dadurch wird deutlich mehr Löschwasser gebraucht.“ Neue Technik bringe immer neue Herausforderungen mit sich, das sei schon bei den ersten Photovoltaikanlagen und Biogasanlagen so gewesen. Singer nennt als weiteres Beispiel moderne Bauformen. Bei einer Fassadenbegrünung mit Efeu etwa könnten schnell „drei Geschosse gleichzeitig brennen“.
In der Übungshalle gibt es neben der gerade laufenden Übung noch mehr zu entdecken – eine Ladenzeile mit Supermarkt und Krankenhaus und sogar ein kleines Hochhaus, das bis unter die 30 Meter hohe Hallendecke reicht. Von ganz oben wirken die großen Einsatzfahrzeuge wie Spielzeug. In der Tiefgarage stehen ausgebrannte Autos. Vor einem fast mannshohen Kanal macht Bräuer halt. Bei einem Unfall im Kanal sei es wichtig zu wissen, ob jemand hineingefallen oder plötzlich umgefallen sei, erklärt er dem Bischof. „Wenn jemand plötzlich ohnmächtig wird, könnte es sein, dass sich im Kanal Gas befindet. Kleine Details können die Lage grundlegend verändern.“ Das gilt auch im Flutkeller. Auf Knopfdruck steht der Boden innerhalb weniger Sekunden knöcheltief unter Wasser. An der gegenüberliegenden Wand stehen ein paar Waschmaschinen. Waschmaschinen brauchen Strom – hier müsse man auch darauf achten, wo sich die Steckdosen befinden. „Man kann hier viele Übungen machen, bei denen es um das genaue Hinschauen geht“, sagt Bräuer.
Beeindruckend ist auch das virtuelle Training. Ausgerüstet mit einer VR-Brille, Kopfhörern und einem „Strahlrohr“ tastet sich ein Feuerwehrmann durch einen leeren Raum. Plötzlich lässt er sich auf ein Knie nieder und richtet das Rohr auf die Besuchergruppe. Diese kann auf einem Bildschirm zusehen, wie gerade ein Zimmerbrand gelöscht wird. „Es gibt Szenarien, die man nicht simulieren kann. Sie wären zu teuer, zu gefährlich oder nicht darstellbar“, erklärt Bräuer. Die Übungen würden aufgezeichnet. „Man sieht dann, ob man gut getroffen oder Ecken vergessen hat.“
Noch im Aufbau ist ein Bauernhof samt Maschinenhalle und einem Stall, in dem lebensgroße Schweine, Schafe und Pferde aus Kunststoff stehen. Das Haus selbst ist aus Holz. Bischof Jung mustert misstrauisch die Holzbalken an der Decke und die Holztreppe, die in den oberen Stock führt: „Aber wenn Ihr die Treppe hochgeht, dann kommt Ihr doch nicht mehr raus?!“ Auch hier gehe es um das genaue Hinschauen und Einschätzen der Situation, bestätigt Bräuer. Im Werden ist auch das „Trümmerhaus“, mit dem man zum Beispiel eine Gasexplosion oder ein Erdbeben simulieren kann. Von außen scheint ein Viertel des Obergeschosses weggerissen, im Inneren kippt auf Knopfdruck eine Wand. Beweglich sind auch die Treppen. Hier sollen Feuerwehrleute unter anderem testen können, ob die von ihnen gebauten Stützkonstruktionen halten – oder auch nicht. „Wir werden uns noch Situationen für die Lehrgänge überlegen.“ Zum Abschluss geht es an einem Gastank vorbei, aus dem meterhohe Flammen lodern.
„Es war superspannend“, dankt Bischof Jung. Er habe die Feuerwehrschule schon lange besuchen wollen und freue sich, dass es nun endlich geklappt habe. „Es ist Wahnsinn, was die Ehrenamtlichen leisten und womit sie konfrontiert werden. Ich kann mir vorstellen, dass es eine tolle Woche ist, die auch den Mannschaftsgeist fördert.“ Als kleinen Dank überreicht er eine von ihm gesegnete Kerze, auf der ein heiliger Florian, das Bischofswappen und die Zahl „75“ zu sehen sind – die Staatliche Feuerwehrschule Würzburg feiert in diesem Jahr ihr 75-jähriges Bestehen. „Möge der heilige Florian seine schützende Hand über Eure Leute halten.“