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Schwerpunktthema „Chorgesang“ - Beim Chorsingen profitieren Körper und Seele

Musikpädagoge Friedhelm Brusniak und Musikpsychologe Gunter Kreutz erklären psychische und physische Auswirkungen des Chorsingens

Würzburg (POW) „Singen macht glücklich.“ Diese Aussage hört man vor allem von Menschen, die im Chor singen. Aber ist das wirklich so? „Pauschalaussagen sind schwierig“, sagt Musikpsychologe Professor Dr. Gunter Kreutz. Er lehrt seit 2008 Systematische Musikwissenschaften an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Bei Studien seien körperliche Reaktionen festgestellt worden. Das Singen im Chor rege die Immunabwehr an und bestimmte Hormone sowie Proteine würden ausgeschüttet. Dadurch werde zum Beispiel Stress abgebaut. „Das darf man jedoch nicht zu hoch hängen“, erklärt Kreutz. Es zeige, dass der Körper mitbeteiligt sei. Beim sprachlichen Ausdruck helfe das Singen. „Sprache und Musik können nicht klar voneinander getrennt werden.“ Es sei ein fließender Übergang. Die Sprachentwicklung starte mit der Geburt und ähnle am Anfang mehr dem Singen. Singen habe daher eine hohe Bedeutung für die Sprachentwicklung, aber auch für den Ausdruck von Emotionen.

„Man sagt allgemein, dass, wenn man singt, man die Seele erklingen lässt“, erklärt Dr. Friedhelm Brusniak. Er ist Präsident des Fränkischen Sängerbundes und war Professor für Musikpädagogik an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. „Singen bedeutet auch einen Zugang zu mir selbst, den ich durch nichts anderes kennenlernen kann.“ Nicht nur Musikfreunde haben den Satz „Music speaks what cannot be expressed“ („Musik sagt, was nicht ausgedrückt werden kann“) gehört. Der Musikpädagoge erklärt: „Der Mensch erhebt seine Stimme zur Klage und zum Jubel, zum Lobpreis Gottes. Das heißt, in dem Moment, wo wir über das Sprechen hinauskommen und die Stimme erheben, sind wir ganz nah am Singen. Und in dem Moment können wir eine andere Dimension des sprachlichen Ausdrucks gewinnen.“

Beim Chorsingen wird die Stimme nicht nur wortwörtlich gefunden, sondern auch metaphorisch. Nach einem Konzert der Chorjugend des Fränkischen Sängerbundes sprachen die Eltern eines Kindes mit der Chorleiterin und dem Chorleiter. Brusniak hörte das Gespräch und verdeutlicht an diesem Beispiel die psychologischen Auswirkungen des Singens im Chor. Die Eltern hätten sich bei der Chorleitung bedankt: „Er spricht deutlicher, er spricht lauter und klarer und er ist selbstbewusster geworden. Diese Haltung innerhalb von wenigen Wochen, dafür sind wir dankbar.“ Der Sohn habe beim Sport nicht mithalten können und sei deswegen ausgeschlossen worden. „Er kam nach Hause und hat geweint. Hier bei euch hat er noch nie so etwas erlebt. Er wurde aufgenommen und durfte sich mit seiner Stimme einbringen und ist selbstbewusster geworden. Und das ist für uns beglückend.“

„Chorsingen trägt in besonderer Weise zur Gemeinschaftsbildung, sozialer Integration und Persönlichkeitsentfaltung bei“, erklärt Musikpädagoge Brusniak. Ein „Chor“ bezeichne nach heutigem Sprachgebrauch eine Gemeinschaft von Singenden. „In ihr sind die Einzelnen gleichermaßen Interpreten und Rezipienten von Chorwerken. Chorsingen vereint Stimmen und macht Stimmung und Abstimmung sozial erfahrbar.“ Wichtig sei es dabei, aufeinander zu hören – richtig zuzuhören. „So wird aus mehreren verschiedenen Stimmen ein gemeinsamer Klang.“ Das könne anderen helfen zu erkennen: „Ich bin nicht allein, die Gruppe trägt mich. Es ist eine soziale Einheit.“ Singen im Chor helfe also gegen Einsamkeit.

„Nicht nur du bist Klang. Nicht nur ich bin Klang. Wir alle sind Klang“, erklärt Brusniak. Damit verdeutlicht er das Gemeinschaftsgefühl im Chor. Das gebe es ähnlich auch bei vielen Sportarten. Musikpsychologe Kreutz erläutert, dass Chöre und auch andere Vereine für Kinder und Jugendliche ein erster Schritt in die Gesellschaft seien. Jugendliche, die auf der Suche nach ihrer eigenen Identität seien, könnten sich dort ausprobieren. Sie lernten so, dass sie ihre eigenen Probleme lösen können. Die sogenannte Selbstwirksamkeitserwartung werde gesteigert. Vor allem in Jahren mit vielen politischen und gesellschaftlichen Krisen sei das wichtig. Soziale Medien führten zu Gegenteiligem. Deswegen sei es auch sehr schwer gewesen, die Chormusik während der Pandemie zu ersetzen. Das Besondere am Chor ist, dass die Mitglieder nicht viel können müssen. Sie müssen weder groß sein noch schnell laufen können. Generell verletzen sich Menschen beim Singen seltener. Außerdem spielen Alter und Geschlecht keine Rolle. Die Zugangsbeschränkungen sind also gering im Vergleich zu anderen Freizeitaktivitäten.

Die gute Nachricht: Alle Menschen können das Singen lernen. „Jeder kann singen und kann lernen, mit der Stimme umzugehen“, sagt Brusniak. Es gebe nur eine kleine Prozentzahl von Menschen, die aufgrund körperlicher Einschränkungen nicht singen können.

Beim Singen brächten außerdem alle ihr ureigenes Instrument, die Stimme, mit. „Wenn wir sagen, am Anfang war das Wort, dann kann ich auch genauso sagen, am Anfang war Klang, denn das Wort besteht eben aus Klang oder aus verschiedenen Klängen, wenn das Wort zusammengesetzt ist“, sagt Brusniak. Singen gehöre zum menschlichen Kulturgut. Schon die Frühmenschen hätten gesungen, erklärt Kreutz. Diese lebten vor rund zwei Millionen Jahren. Die genaue Geschichte des Singens sei jedoch unklar. Heute singen Menschen an verschiedenen Orten und in unterschiedlichen Situationen. Das Singen vor allem vor anderen Menschen kostet viel Überwindung. Ein Grund dafür ist nicht nur die Angst vor falschen Tönen, weiß auch Brusniak. „Wenn ein Mensch singt, ist es das Unmittelbarste, das er im vokalen Ausdruck aus sich heraus geben möchte, und in diesem Sinne ist es immer sehr individuell, sehr persönlich. Auch wenn ich im Chor singe, singe ich, wenn es um Trauer geht, in meiner Trauer und nicht nur in der sozialen Gruppe. Ich bringe mich ein mit dem, was für mich Trauer bedeutet.“

„Jeder Mensch ist ein Individuum und unverzichtbar für die Gesellschaft, und von daher brauchen wir diese Vielfalt auch im Ensemble“, sagt Brusniak. Aber ist die Chorgemeinschaft so vielseitig? Musikpsychologe Kreutz kritisiert, dass die Chormitglieder oft aus einer ähnlichen Gesellschaftsschicht stammen. So sei der Mittelstand in Chören stark vertreten. Viele Menschen hätten jedoch keinen Zugang zu Musik. Dabei sei im Gesetz das Anrecht auf Teilhabe verankert. Die Angebote dafür würden jedoch fehlen. Förderlich sei ein Klima, bei dem alle mitmachen können und möchten. Kreutz sieht die Kirche diesbezüglich ebenfalls in der Pflicht. Er stellt weitere Forderungen an die Chorarbeit, aber auch an die Bildung. Der Musikunterricht käme in Schulen zu kurz und das gemeinsame Singen sei in Kindergärten nicht mehr die Normalität. So könne diese Art des Ausdrucks von Kindern nicht entdeckt werden, erläutert Kreutz.